LINEARE TRANSPARENZ
Wolfgang Sohm über die Linie und das Erz in den Skulpturen von Antonia Petz

Detail

Torsi, Rümpfe, Köpfe, Schatten – lineare Durchbrechung von Räumen im Wechselspiel von Draht und Schatten. Eine Reihe bildet sich als Abfolge verschiedener Räume in Linie – einer Linie der Schatten, die den Raum umgrenzen, der durch diese wie eine Testkonfiguration erscheint – nicht präsent ist sondern verschwindet. Das Wesen der Linie ist das Thema der Figuren von Antonia Petz.

Eine Linie ist der Kern jedes Geschehens für einen Zeichner. Das Metall ein Substrat, das der Erde durch Feuer entzogen, dann selbst verformt durch Druck und Zug, einen Faden durch die Industriekultur der Menschen spannt – später den Strom leiten wird – heute nur noch den Schatten wirft, den Funkschatten sozusagen, den die Erde übrig behält, während der Mensch in seinem Innersten keine Substanz dabei mehr zulässt. (Das als schnelle Analogie zur Medialität, ihrem Wesen im menschlichen Bewusstsein und dessen Nervenverläufen gleichender zirkulärer Struktur.)

„Kosmisch gewickelt“ ist die Grundform bei Klees prozessualer Beschreibung der bildnerischen Vorgänge der Weltentstehung. Diese Form findet sich in allen Kulturen der Welt. So beschrieben und genützt wird sie trivial. Wie aber wird sie zu einem Vorgang der Realität situieren lässt? Nun, durch den Herstellungsvorgang.

Die Grundlage des künstlerischen „Instituts“, also der Kunst als Kategorie, ist die prozessuale Entwicklung des Seienden. Diese Feststellung bedurfte der gesamten Entwicklung der Moderne, der Ödnis der Postmoderne und der Wahrnehmung des Individuellen als dem einzig Bleibenden, Stabilen, in einer Welt, in der Konstruktionen und Dekonstruktionen sich abwechselnd auf den Gegenstand beziehen, der vorerst dem Menschen zugehörig, dann als Begriff ihn verlassend, in seiner Bedeutung ihn als bedeutungsvollen Gegenstand verlässt. Er könnte sich noch in einem Abbild wiederfinden, einem Schatten.

Die Bedeutung, die die Erde, das Erz, verlässt, findet sich in dem Substrat des Punktes, des Anfangs, des gezogenen Punktes, des Drahts, des elementaren Vorgangs der Erhitzung des Moments, der den Draht zu dem macht, was er im Kern enthält: die Form der Welt als Abstraktion, als prinzipieller Fluss des Individuellen.

Das Individuelle ist in der frühen Definition nur die Vereinzelung des Gegebenen. Das Gegebene ist der Punkt, die Substanz und der ihr innewohnende Vorgang. Die Intelligenz des Materials, seine Materialität, ist der Bildhauerei durch die Tatsache der unterschiedlichen Bearbeitungsnotwendigkeiten längst bekannt. Also der Vorgaben, die dem Material innewohnen, die zu seiner Bearbeitung notwendig sind. Die Umstände, die aus einem Draht eine Figur bringen, diese Figur also zu finden, ist ein Bewegungsvorgang. Eine dynamische Methode. Der Vorgang der Herstellung der Figurationen von Antonia Petz ist im Kern der Vorgang aus dem Innersten der Figur, ihrer Kernlosigkeit, einen Punkt zu ziehen, aus dem durch Erhitzung der Draht kommt, der diese Verbindung von Erz, Bewegung, Hitze und Formvorstellung zu der Abstraktion verdichtet, die dann als der Schatten der Form, an den Wänden sichtbar, den eigentlichen Körper zeigt. So entsteht der Vorgang der Formenbildung aus dem gerichteten Erhitzungsprozess. Dem Vorgang der Vorstellungsrichtung.

Installationsansicht

Die Umrisse der Figur ergeben eigene Volumen, die den Abbildern entsprechen, die sich mit den Assoziationen einer Form gemischt in den Raum projizieren lassen. Ein Vorgang der Projektion. Beinahe schon ein digitaler Vorgang, da er nur zwischen zwei Polen existiert – dem Punkt und seiner Bewegung, dem Ursprung und seiner Erhitzung und dem Schatten dieser Flamme. Diese Eigenschaft der Transparenz ist das wesentlichste Merkmal der figurativen Arbeit bei Antonia Petz.

Transparenz ist ein Vorgang der Durchlässigkeit verschiedener Materialien im Bewusstsein, also eine Abbildungsfolge der menschlichen Wahrnehmung. Kurz: Du siehst es und erkennst dessen Regel. Die Vorstellung der mehrfachen Überlagerung einer einzigen Sache, also deren Vielheit, diese Umstände bedeuten den Formen eine innere Stabilisierung.

Ein transparenter Raum ist also der Raum eines vielgestaltigen Wesens. Ein Raum als die Folge einer Umgrenzung – ein Koordinatensystem von so großer Mächtigkeit, also Wirkung auf uns, dass unsere Vorstellung sich ihm zwingend ergibt.

Die Durchbrechung von der Vorstellung, nur einen Raum, nur eine Form, somit nur eine Realität zuzulassen, das ist das Wesen des Transparenten, das verschiedene Räume, somit auch verschiedenen Repräsentationen von Gestalt und struktureller Realität, in einer Figur zum Klingen bringt. Denn die eine Stufe der Transparenz ist die Durchlässigkeit von Material, die zweite, jedem bekannte Stufe, ist die Durchdringungsmöglichkeit eines Materials, das durch höhere Schwingungsart einfach als unerkannte Transparenz, als für uns alles umfließendes Kontinuum in verschiedensten kulturellen Äußerungen Gebrauch findet – der Musik. Der Ton als zweite Materialität durchdringt den Raum in einem noch weitaus stärkeren offensichtlicheren Maß, als es uns bewusst ist.

Wer im Mutterleib die Schwingungen der Geräusche der Außenwelt, gekoppelt mit den Körpergeräuschen und dem langsamen in die Welt rücken von einem abstrakten zu einem konkreten Menschen erinnerlichen könnte, würde zu dem ozeanischen Bereich des Daseins, dem verlorenen Erwachen eines Wesens zurechtkommen, das diese unterschiedlichen Wahrnehmungsströme in seinem Geist als die Linien erfährt, denen sein Bewusstsein folgen mag, das sich gleichsam wie ein Draht aus der Erde, aus dem Innersten der Menschwerdung, seinem physischen Kern, dem Hohlraum im Bauch der Mutter, in die Welt bewegt. In diesem leeren Raum im Innersten des physischen Ursprungs, dem unbetretbaren Raum der vorgeburtlichen Existenz während der frühembryonalen Entwicklung, findet sich die Transparenz des Menschlichen, des Gegebenen, bewiesen. Dort wird die Welt zu einem Schatten dieses innersten Raumes, da der sich mit den Weltäußerungen, dem Weltaußen vermischt.

InstallationsansichtIn den Schattenspielen an der Wand als dem unbemerkten Rand der Arbeiten von Antonia Petz, findet sich das sichtbare Wiederspiel dieses Vorgangs der Geburt von Wahrnehmung. Deren strukturelle Repräsentation findet sich in den Drahtverläufen, die unserem einzig möglichen Denken folgend, in der Form eingebogen wird, die letztlich die einzige Gestalt bilden muss, die wir zu diesem Zeitpunkt erkennen können, die wir sind und die uns zeitlebens niemals völlig verlässt – dem menschlichen Körper als Träger der Wahrnehmung dieser Welt voller Rätsel, Täuschungen, Empfindungen und verloren geglaubter Möglichkeiten, die doch ganz fern verklingen, wenn wir endlich schlafen gehen.

Wolfgang Sohm, Altlengbach 2009