GRENZÜBERGANG GMÜND – ČESKÉ VELENICE AM 5. MAI 2001 UND 2. DEZEMBER 2008
Österreich – Tschechien

In dem „Blick von der Lainsitzbrücke“ kreuzen sich unterschiedliche Linien, um Territorien abzugrenzen, zu Verbinden oder zu Überbrücken. In dem relativ wenig veränderten Flussbett der Lainsitz fließt ein Fluss, 1918 zu einer Grenze geworden, in seinem natürlichen und somit absichtslosen Lauf. Der nunmehrige Fußgängerübergang ist in seiner Form und Geschichte auch Abbild des Verlaufs sozialer und technischer Entwicklungen des 20ten Jahrhunderts. Zuerst bewegten sich Menschen noch in der Faszination der zunehmenden Geschwindigkeit in Eisenbahnwaggons darüber hinweg. Dann erfolgte ein Stillstand, dem ein Massendurchstrom von Flüchtlingen und Soldaten vorausging. Lange Zeit betrat kaum jemand, dann ohne Furcht oder Sorge diese Brücke und sie war ein in sich selbst bewachter Transitraum, der von keiner Seite beansprucht werden konnte. An diesem Schnittpunkt bildet sich die Aufnahme des „Blicks von der Lainsitzbrücke“ in der Gegenwart in dem Betrachter ab, wenn er, dadurch imaginiert auf der Brücke stehend, eine Zeitreise in die sozialen Vorgänge an der Lainsitz und ihrer Geschichten wirft, wobei eine der wesentlichsten, in dem einmontierten Ausschnitt aus der Installation „Rechenstandart“ hervorblinkt. Rechen einer Installation, die 2001 an 30.000 Verstorbene in dem Flüchtlingslager Gmünd zwischen 1914 und 1918 erinnerten. Ruthenen, meist einfache Landbevölkerung, die mit ihren Holzrechen zur Arbeit gingen und die die letzte große Masse sind, die heute bleibend in unserer Erinnerung an diesen Ort verhaftet sind, weil sie das Niemandsland, das sich auf der Brücke über die Lainsitz später bildete, als einzige nie mehr verlassen konnten. Kein Staat hatte sie mehr aufnehmen können. Sie waren niemals von ihrer Flucht zurückgekehrt. Der Schnittpunkt zwischen der Kultur und der Natur, das ist der Mensch, der den Blick über die Lainsitzbrücke ziehen lässt, und so in sich den Raum trägt, der die Gewalt das 20ten Jahrhunderts an der Lainsitz verlassen hat, um heute unbeschwert diesen Übergang in Ruhe zu betrachten oder auch zu benützen.

Text von Wolfgang Sohm

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Blick von der Lainsitzbrücke“ 2001/2008, Lambdaprint 200 x 35 cm

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Detail aus „Blick von der Lainsitzbrücke“

 

Die Lainsitzbrücke